Seit 25 Jahren schlagen die „Herzen“ für die Kinder der Inka

In den peruanischen Anden jährt sich 2023 die Gründung des Kinderdorfs „Munaychay“ zum 25. Mal. 1998 von dem Königsteiner Dr. Dieter Arnold aus der Taufe gehoben, wurde dort seither einer Vielzahl von Halb und Vollwaisen der Weg in eine bessere Zukunft geebnet. Zwar wird der 2014 verstorbene Gründer des Träger-Vereins „Herzen für eine neue Welt“ im Jubiläumsjahr schmerzlich vermisst. Sein Erbe allerdings scheint in guten Händen.

Der weiße Laborkittel, den Dr. Wolfgang Leidinger auf dem Foto trägt, ist dem Chemiker durchaus vertraut. Dass er nach seinem aktiven Berufsleben allerdings noch einmal in die Rolle eines Lehrers schlüpfen und in den peruanischen Anden Mädchen und Jungen unterrichten würde – das hätte sich der Vorsitzende des Königsteiner Vereins „Herzen für eine neue Welt“ vor ein paar Jahren vermutlich auch nicht träumen lassen. Es ist eine der vielen überraschenden wie auch erfüllenden Wendungen, die Leidingers Leben genommen hat, seit er sein Herz an die „Herzen“ verloren hat.

Knapp zehn Jahre ist das auch schon wieder her. Und wirklich geplant war es auch nicht, wie der Vereinschef im Gespräch mit unserer Zeitung lachend einräumt. Im sehr abstraktem Sinne ist Leidinger wie die Jungfrau zu sehr vielen Kindern gekommen.
Dr. Dieter Arnold, der Gründer des Vereins, war es, der ihn ins Boot geholt hatte. Beide hatten sich über Leidingers Söhne kennengelernt, die als Freiwillige jeweils ein Jahr im Kinderdorf „Munachay“ verbracht hatten. Als der Vater dann im Gespräch mit Dieter Arnold anklingen ließ, dass er sich vorstellen könnte, sich ehrenamtlich etwas zu engagieren, griff Arnold direkt zu.
Aus gutem Grund: Leidinger ist in der peruanischen Hauptstadt Lima geboren und aufgewachsen, hat hier studiert, arbeitete später viele Jahre für die Bayer AG und schien so der perfekte Mittler zu sein zwischen den doch mitunter sehr unterschiedlichen Welten –hier Deutschland, da Peru. Leidinger: „Dieter Arnold schlug damals vor, dass wir gemeinsam nach Peru reisen sollten, so dass ich mir ein genaueres Bild von Munaychay und den Projekten des Vereins machen könnte.“ Leider jedoch sei es zu dieser Reise nie gekommen. Arnold erkrankte so schwer, dass er „sein“ Kinderdorf im Heiligen Tal der Inka nicht wiedersehen sollte.

Ein Magier, Motor und Macher

Mit dem Tod des „Vaters der Herzen“ im Mai 2014 verlor der Verein seinen Motor, der 10 000 Kilometer weit weg vom Taunus aus kleinen Anfängen etwas Großes geschaffen hatte. Mit ganz viel Herz, großen Ideen, ansteckender Verve und aus dem Wunsch heraus, Gutes für die Kinder im ChiconTal zu tun. Für sie griff „Don Futschikato“, wie sich Arnold nannte, wenn er gegen eine Spende für seinen Verein zauberte, auch schon mal in die Trickkiste. Gerade dann, wenn ihm die Mühlen der Bürokratie zu langsam erschienen. „Dieter war eben ein Macher“, umreißt Wolfgang Leidinger die für Arnold so typische und auch

eigene Art. Eine Art, mit der der Deutsche jedoch nicht überall gleichermaßen gut ankam –schon gar nicht bei den peruanischen Behörden. Diese Erfahrung mussten seine Nachfolger machen, als sie 2014 Arnolds geistiges Erbe antraten. Angeführt von dessen Schulfreund Gerhard Benner, der zunächst den Vorsitz des Vereins übernahm, und von Wolfgang Leidinger, der als Vize in den Vorstand einrückte, gingen Angelika Kilb und andere langjährige Mitstreiter Arnolds daran, die „Herzen“ am Leben zu erhalten und fit für die Zukunft zu machen. Die ersten Jahre des Übergangs seine keine leichten gewesen, räumt der heutige Vereinschef unumwunden ein. Es habe doch einige Baustellen gegeben. Das neue FührungsTeam sei damals mehr als einmal im Feuerwehr-Modus gewesen. Das oberste Prinzip, dem die „Herzen“ dabei folgten, umschreibt Wolfgang Leidinger mit den Worten: „Nicht zurückschauen, nicht nachkarten. Den Blick nur nach vorne und auf das richten, was wir tun können.“
Eine Kursvorgabe, mit der man offensichtlich gut gefahren ist, die Vernetzung mit den peruanischen Behörden gestärkt und auch die Corona-Pandemie gemeistert hat. Leidinger: „Während die meisten Schulen 2020/21 geschlossen waren und viele Kinder gerade in den ländlichen Bereichen kaum lernen konnten, haben wir den Unterricht dank der Möglichkeiten in Munaychay für die Mädchen und Jungen im Kinderdorf fortsetzen können.“

Ein Vorteil, so der Vorsitzende der „Herzen“ stolz, der sich auch an den Erfolgen der Kinder ablesen lasse. Gleich fünf Mädchen aus Munaychay seien ob ihrer guten Leistungen in das peruanische Stipendien-Programm „Beca“ (vergl. mit der Stiftung des Deutschen Volkes) aufgenommen worden. Ein Vorteil aber auch, von dem ebenso die Kinder profitieren sollen, die nicht in Munaychay leben. So habe man gemeinsam mit dem peruanischen Erziehungsministerium und mit Fördermitteln des „Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“ (BMZ) das Programm „Corazon Educador“ aufgelegt.
Zentrales Ziel dieses Projekts sei es, die Kinder im Hochland,die viel zu lange auf Unterricht verzichten mussten, erst einmal wieder an Schule heranzuführen und Lernrückstände aufzuholen.„Viele Mädchen und Jungen, die heute das Alter von Drittklässlern erreicht haben, können noch nicht lesen“, unterstreicht der Vorsitzende der „Herzen“. Für diese Arbeit habe sein Verein ein Unterrichtsheft in der eigentlichen Muttersprache der indigenen Bevölkerung, Quechua, aufgelegt, das mittlerweile nicht nur an Schulen in der benachbarten Provinzstadt Urubamba zum Einsatz komme. Leidinger: „Die Lerninhalte beziehen sich auf Themen aus dem Alltag der Kinder im Hochland, was den Zugang erleichtern soll. 54 Texte hat unser Team vor Ort bereits erstellt, weitere werden folgen.“ Wie froh und dankbar die Verantwortlichen der umliegenden Schulen für diese Unterstützung sind – davon konnte sich Walter Leidinger bei einem mehrtägigen Aufenthalt im Projekt vor wenigen Wochen selbst ein Bild machen.

„Unser Engagement über Munaychay hinaus, hat uns als Verein ein wichtiges Stück vorangebracht und zu unserer Wahrnehmung in der Region viel Positives beigetragen“, unterstreicht der Vorsitzende zufrieden. Diese Zusammenarbeit wolle man fortsetzen und stärken, damit das Schlagen der Königsteiner „Herzen“ für die Kinder der Inka auch künftig deutlich zu vernehmen ist. sj

Peru-Abend und Jubiläum. Am Samstag, 17. Juni, feiern die „Herzen für eine Neue Welt“ im Königsteiner Haus der Begegnung mit einem Peru-Abend das 25-jährige Bestehen des Vereins und der Projekte. Los geht es um 18 Uhr (Einlass ab 17 Uhr). Die Veranstaltung ist öffentlich.


Erst Corona, dann Unruhen: Herausforderungen werden nicht kleiner

Die Corona-Pandemie, die in Peru von besonders harschen Auflagen begleitet war, schien gerade etwas ihren Schrecken zu verlieren, da stehen die Menschen des lateinamerikanischen Landes bereits vor der nächsten großen Herausforderung – und mit ihnen die Königsteiner „Herzen“.

Die Nachwirkungen der Pandemie, dazu die weltpolitischen Verwerfungen im Zuge des russischen Angriffs auf die Ukraine haben auch in Peru die Preise für Grundnahrungsmittel und Energie in die Höhe sowie die Bevölkerung auf die Straße getrieben und so das Land auch politisch weiter destabilisiert. Das Ganze gipfelte im Dezember vergangenen Jahres in der Absetzung und Inhaftierung des erst im Juni 2021 zum Präsidenten gewählten Linken-Politikers Pedro Castillo. Letzterer hatte zuvor seinerseits angekündigt, das Parlament auflösen zu wollen, was ihm den Vorwurf einbrachte, einen Putsch anzustreben.
Bei den anschließenden Protesten von Castillos Anhängern kam es Anfang des Jahres zu gewaltsa men Auseinandersetzungen mit der Polizei. Der nationale Notstand wurde ausgerufen, mehrere Dutzend Menschen verloren bei den Tumulten ihr Leben – vor allem im Süden des Landes. Hier hat der nach wie vor inhaftierte Castillo besonders in der armen, indigenen Bevölkerung seine Unterstützer. Und hier haben auch die Königsteiner „Herzen“ ihr Kinderdorf.

Zwar seien die Kinder, das Team und auch die deutschen Freiwilligen hinter den Mauern von Munaychay stets in Sicherheit gewesen, betont Dr. Wolfgang Leidinger. „Die Auswirkungen der Proteste waren zeitweise jedoch schlimmer als alles, was wir während der Corona-Pandemie erlebt haben. Die Versorgungslage war katastrophal“, skizziert der Vorsitzende der „Herzen“ aus seiner Warte die jüngsten Ereignisse in seiner peruanischen Heimat.

Vor allem der Tourismus, der Wirtschaftsfaktor schlechthin rund um die Inka-Stätten Cusco und Machu Picchu, sei massiv getroffen worden. Mit wiederumgravierenden Folgen, für die vielen Menschen, die davon leben und ihr Einkommen verloren haben – was angesichts der hohen Inflation im Land die Versorgung mit dem Notwendigsten immer schwieriger mache. Auch den „Herzen“ mache der Preisanstieg natürlich zu schaffen, so Leidinger. Allerdings sei man im Projekt in der glücklichen Lage, sich partiell selbst versorgen zu können. Das angegliederte AgrarZentrum Santa Rosa liefere Gemüse und mehr, so dass man nur Teile der Lebensmittel zukaufen müsse. sj